Lieber Leser,
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Anzüge und andere Kleidung mit professioneller, festlicher oder feierlicher Konnotation sind total dufte – so lange sie im Normalfall auf entsprechenden Kontext begrenzt werden. Ein schneidiges Sakko entlockt mir ebenso Freudenschreie wie töfte Sneakers oder die neue Jeans vom Außenreporter (grau, eng, geil!). In zehn Jahren werde ich mindestens zehn maßgeschneidete Anzüge besitzen, oder ich bin stilistisch gescheitert. Ich wollte schon immer generell sehr gut gekleidet sein. Dabei experimentiere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Auch mit förmlicher Kleidung.
So viel zu meiner modischen Disposition.

Was die fehlgeleiteten jungen Menschen in den nachfolgenden Bildern des SZ-Magazins jedoch antreibt, sich zu kleiden wie ihre Väter und Väterväter, muss man kleinschrittig nachvollziehen, um es zu verstehen. Einige (beileibe nicht ausschließlich ungenießbare) vergleichbare Exemplare durfte ich unter anderem während meines Studiums in Passau hautnah erleben, und damals schon machte ich mir so meine Gedanken über ihren seltsam verkrampften Stil.

Ich unterstelle dieser speziellen Schickeria einerseits das Verlangen nach einer (eher hochpreisigen) Uniform, die sie als Angehörige einer (materiellen) Oberschicht auszeichnet. Andererseits die Sehnsucht nach einem bisschen mehr Ernst und Seriösität, welche in ihrem jugendlich-leichtsinnigen Leben zwischen basaler Ausbildung und elterlich finanzierten Wodkaflaschen bisher noch fehlen mögen. Sie simulieren mit den konservativen Textilien ein biographisches Gewicht, was ihnen mit 20 naturgemäß noch nicht zu eigen ist. Analog dazu, das sei nicht verschwiegen, kann man das radikal politisierte Modegebaren gänzlich anders sozialisierter junger Menschen einordnen, die sich per Arafat-Tüchern und Guevara-Shirts mit einer aktivistischen Intellektualität aufzuladen suchen, welche sie als Teenager noch nicht akquirieren konnten. Weitere Beispiele finden sich, wenn auch selten solch prominente wie der Oberschichtschick.

Denn in einem Soziotop, in dem Profession und materielle Potenz als prominente Persönlichkeitsdimensionen gelten, gilt es selbige auch mit allen Mitteln zu kommunizieren. Denn wer hat, der zeigt – implizit wie explizit. Und wer noch nicht hat (bzw. nur wegen Papa), der tut wenigstens so als ob.
Konsequenz: Die jüngere Generation imitiert die ältere, in ihrem materiellen Erfolg und ihrem sozialen Status, über das Medium Mode. Dank des richtigen Outfits kann ich schon als Schüler aussehen wie ein erfolgreicher Anwalt, Arzt oder Außenminister. Und wie alle anderen zukünftigen Großverdiener.
Was viel über das Wertesystem, die Wünsche und Visionen der Jugend im portraitierten Milieu aussagt.

Doch genug der Spekulationen. Unabhängig von allen (fehlbaren) Interpretationen bleiben die Fotos für mich, ich möchte ehrlich sein, ein modeästhetisches Gruselkabinett:


Alle Bilder räudig beim SZ-Magazin geklaut.