Diese Woche behauptet sich Lady Gaga völlig zurecht an der Spitze der deutschen Single-Charts (und Silbermond bleibt dahinter), also gibt es statt einer neuen Nummer Eins eine sehr gute Nummer drei zu analysieren: Razorlight mit „Wire to Wire“.

Razorlight – Wire to Wire

What is love but the strangest of feelings?
A sin you swallow for the rest of your life?
You`ve been looking for someone to believe in

To love you, until your eyes run dry

She lives on disillusion road
We go where the wild blood flows

On our bodies we share the same scar

Love me, wherever you are

How do you love with fate full of rust?
How do you turn what the savage take?
You`ve been looking for someone you can trust
Who will love you, again and again

How do you love in a house without feelings?
How do you turn what that savage take?

I`ve been looking for someone to believe in

Love me, again and again

She lives by disillusions close
We go where the wild blood flows

On our bodies, we share the same scar

How do you love on a night without feelings?

She says “love, i hear sound, i see fury”
She says “love`s not a hostile condition”

Love me, wherever you are

Der Text dieses ergreifenden Liedes arbeitet auf zwei Ebenen: Einerseits die von der Sprechinstanz an ein nicht näher bestimmtes „you“ (nicht gleichzusetzen mit dem Hörer!) gerichtete Abfolge von rethorischen Fragen und Imperativen, die auf eine emotionale Beziehung zwischen literarischem Ich und Du schließen lassen. Jemand ist hier mit jemandem verliebt, so viel ist sicher. Dessen Frage „What is love but the strangest of feelings?“ wird hier mit der Forderung „Love me, again and again“ aufgelöst – schwer verliebt also, aber nicht glücklich. Durchatmen, es wird erst kompliziert.

Denn auf einer anderen Ebene wendet sich der Sänger an die Hörer, indem er das „you“ zum „she“ werden lässt, also nun über (und nicht mit) seinem emotionalen Konterpart spricht, und ein gemeinsames „we“ formuliert, welches sich wiederum durch „the same scar“, metaphorische Narbe der emotionalen Verletzungen der Liebesbeziehung bis jetzt, konstituiert.
Ist schließlich keine Playmobil-Lyrik hier. Und weitere Fragen werden aufgeworfen:
Wird hier quasi-philosophisch von einer anonymen Menge von emotional involvierten Individuen (der einsetzende Chor) die Unmöglichkeit einer wahren, wilden Liebe in einer emotionslosen Umgebung („How do you love in/on a house/night without feelings?“) beklagt? Wird eine bestimmte sie stellvertretend oder spezifisch dafür verantwortlich gemacht, da sie „on disillusion road“ lebt, also in einem für die Liebe unwirtlichen Raum? Ist es ihre Furcht vor radikaler Hingabe („i hear sound, i hear fury“), die sie zurückschrecken lässt? Steigere ich mich da in etwas hinein? Gibt es einen Gott? Sechste Stunde Deutschunterricht?

Antworten kann der Refrain bringen, der einen unmissverständlichen Anspruch formuliert: „Love me wherever you are!“ – liebe mich ungeachtet und trotz aller Schwierigkeiten, die uns an verschiedene Orte emotionaler Disposition stellen und somit trennen. Die Liebe soll gelebt werden, wenn man auch Schaden an ihr nimmt, sie ist “A sin you swallow for the rest of your life”, ohne Rücksicht auf Verluste, bis die Wand kommt. Wenn dieser „someone to believe in, to love you, until your eyes run dry“ in der Lage ist zu lieben, wo auch immer er ist, dann können wir das auch. Durchhalten, bis alle Tränen geweint sind, bis der Schmerz versiegt.
Und Lady Gaga nicht mehr Nummer Eins ist.