Elektro-Nische 12/10

Paul Kalkbrenner

Was für eine Geschichte der Mann geschrieben hat: Vom Berliner Szene-DJ zum Filmschauspieler zur internationalen Techno-Ikone. So rasant und exponentiell steigend, dass die obligatorische Kommerz-Anklage und darauf folgende Auslieferung an den verhassten Mainstream nur mehr Formsache scheint. Umso mehr, wenn die bisher für Techno-Künstler schwer erreichbaren Insignien einer großen Pop-Karriere, nämlich Hallen-Tour und zugehörige DVD, erfolgreich zelebriert werden. Es wäre einfach, Kalkbrenner dafür zu verdammen und zu vergessen.
Beim Betrachten des konventionell gefilmten und geschnittenen Material wird man jedoch leicht überrascht: Schleicht da nicht ein berlinernder Bengel durch die gleich zu bespielende Halle, in ehrlicher Sorge, dass auch jeder der 10.000 Gäste die Leinwand wird sehen können? Bringt der Messias des Massentechno nicht seine Eltern backstage zum Meet&Greet mit seiner Tour-Familie? Spielt der Paule seinen soliden Tech-House nicht mit echter Freude? Ist er vielleicht doch ein bodenständiger Handelsreisende elektronischer Musik, den man immer noch und immer wieder lieb haben kann? Oder ist dieses Image letztlich nur Teil der Kalkbrenner-Marketing-Maschinerie?
Es erscheint letztlich ziemlich egal, wie echt Paul Kalkbrenner ist. Und dass mit Part Of The Weekend Never Dies, dem grandiosen Film über Soulwax bzw. 2Many DJs, das Genre der Tour-Dokumentation den goldenen Schuss erhielt. Dass die Besucher seiner Auftritte deutlich jünger sind als er und vor allem deutlich jünger als die kredibile Berliner Szene. Denn Paul Kalkrenner funktioniert schon länger nach den Gesetzen des Mainstream, als man es vielleicht wahrhaben wollte. Seine Musik ist gut, sein Publikum jung, seine Zeit also die Gegenwart und Zukunft. Und seine DVD dokumentiert aufs schönste, dass Techno heute Pop ist. Dass DJs Rockstars sind. Und dass das überhaupt nicht schlimm ist.

Fritz Kalkbrenner

Endgültig entspannt ist die Alliteration, welche mir beim Abchillen zu Pauls Bruder Fritz Kalkbrenners Debut-Album Here Today Gone Tomorrow einfällt. Seine aus dem Megahit „Sky and Sand“ wohl bekannte Stimme hat die anästhesierende Wirkung einer heißen Schockolade, die Beats schleichen aus den Boxen wie Siamkatzen, die Harmonien und Melodien streicheln das enervierte Großstadtgemüt leise in einen Status innerer Hängematte. Wer auf den letzten Meter bis Weihnachten oder in der Nichtzeit namens „zwischen den Jahren“ ein bisschen relaxen will, sollte das mit dem jungen Fritz tun.

Das relativ harte „Amy was a player“ mit Standbild des Künstlers:

Sven Väth Mix

Wenn Paul Kalkbrenner der allseits beliebte Justin Timberlake des Techno ist, dürfte Sven Väth irgendwo zwischen Mick Jagger und Tom Jones changieren: Nicht totzukriegen, unbezweifelt einflussreich, unvergleichlich erfolgreich. Und längst zum „Kult“ geworden. Sein Doppel-Mix „The Sound of the Eleventh Season“ ist so vielseitig und Reich an Höhe- und Tiefpunkten wie seine Karriere: Es

Chaim

Der Israeli ist ein alter Liebling von mir:
Der erste Longplayer ist genau die erwartete Qualität: Organisch, technisch, gut.

BPC Werkschau

Als das meist zitierte Medium seiner Zunft ist Ellen Alliens Label BPitch Control so etwas wie der SPIEGEL der elektronischen Musik (nur cooler). Auch ich gebe regelmäßig gerne weiter, was die Berliner sich musikalisches ausdenken. Nicht umsonst sind viele ihrer Künstler Stammgäste in dieser Kulumne. Und die aktuelle Werkschau – obwohl auf eine zwölfjährige Historie zurückschauend, doch mit ausschließlich unveröffentlichtem Material bestückt – ist erneut ein Sampler von so durchgehend hohe Qualität und dabei verschiedensten Genres, dass ich jedes Mal wieder durcheinander komme, welche Nummer genau das obergeile Ding war, weil einfach zu viele obergeil sind. Hervorheben möchte ich dennoch Dillon feat. Coma und ihren Ohrwurm „Aiming for destruction“, der mir unbekannt war. Hervorragend ist auch das Tracklisting: Anfangs noch vokalig und eingängig, wird die Stimmung bald dunkler und tiefer, die Songs minimaler, ohne eintönig zu werden.
Wenn das die Richtung für das nächste Dutzend Jahre ist, bin ich dabei.

Ellen Allien zu den Anfängen des Labels:

Schluck den Druck

Nicht wirklich mein Geschmack treffen diese Krawallmacher.

Plastikman

Ein ganz besonders individueller Geschenktipp ist Plastikmans (aka Richie Hawtin) große Rückschau namens „Arkives“, die sein Schaffen zwischen 1993 und 2010 zusammenfasst. Dabei lässt der Künstler den genauen Inhalt der limitierten Box offen: In vier verschiedenen Größenformaten können so beliebig Pakete zusammengestellt werden, die beispielsweise DVDs, Poster oder Vinyl enthalten und dann nach der Bestellung produziert werden. Sagt zumindest die Pressemitteilung.

Playmode – Is this enough

Antizyklisch sommerlicher House von Playmode, dessen wahre Identität geheim bleibt. Irgendeiner der Exploited-Schelme wird es schon sein, vielleicht sogar Shir Khan himself? Man weiß es nicht.

Anja Schneider – Pushin´

Die Grande Dame des deutschen Techno denkt nicht daran, langweilig zu werden. Ihr neuester Realease „Pushin´“ enthält neben dem funky Titeltrack noch zwei nicht minder frische Produktionen.

Kim Ann Foxman – Creature

Totally enormous extinct dinsosaurs – Household goods

Die Jungs mit dem unsäglich sperrigen Namen liefern schönes Gepiepe im Stile von Simian Mobile Disco, kombiniert mit einem in meinen Augen eher unnötigen Einschub Deadmau5-Geprügel.

Daft Punk – Tron Soundtrack

Die Musikblogger waren enttäuscht: Daft Punks Soundtrack zum 80er-Nostalgie-Action-Spektakels TRON wurde lange angekündigt und beraunt. Und klang dann doch eher lahm. Musikalisch kommt wirklich wenig bei rum, dafür dürfte die ganze Aufregung gute Werbung für den Film gewesen sein. Das Video zu Derezzed ist dann in guter alte Soundtrack-Tradition eher ein Trailer für den Film.

Bonus: Die Geschichte der zwei einflussreichen Franzosen in knapp fünf Minuten erzählt:

Harald Björk

Nein, soweit ich weiß hat Harald nichts mit DER Björk zu tun. Sein neues Album Bigfield empfiehlt sich dennoch mit experimentellen Klängen, ein bisschen sperrigen Beats und nordischem Eigensinn ganz nach Art der berühmten Namenscousine.

http://www.haraldbjork.com/?p=260

Harald Björk – Din from Harald Björk on Vimeo.